Tag & Nacht




Was macht man, wenn plötzlich ein Containerschiff im Vorgarten steht? Diese surreale Frage musste sich Johan Helberg aus dem beschaulichen Byneset nahe Trondheim am 22. Mai 2025 stellen. In aller Frühe – genauer gesagt um etwa 4 Uhr morgens – krachte die NCL Salten, ein 135 Meter langes Frachtschiff, wenige Meter vor seinem Haus auf Grund. Und das nicht zum ersten Mal.


„Da steht ein Schiff im Garten!“

Der Albtraum nahm seinen Anfang, während Helberg noch friedlich schlief. Erst ein aufgeregter Nachbar, der ihn klingelnd aus dem Bett holte, lenkte seine Aufmerksamkeit auf das Unfassbare: Ein riesiger, rostbrauner Bug ragte durch den Morgennebel direkt vor seinem Haus auf. „Ich dachte, ich träume – ich musste mich richtig strecken, um das Ende des Schiffs zu sehen“, erzählte Helberg später Reportern.

Wer jetzt denkt, so etwas passiert nur in Filmen, irrt gewaltig. Die NCL Salten hatte sich schlicht verfahren – besser gesagt: Der diensthabende Offizier war auf der Brücke eingeschlafen.

Ein Nickerchen mit Konsequenzen

Der ukrainische Zweite Offizier, verantwortlich für das sichere Manövrieren durch den Trondheimfjord, nickte während seiner Schicht ein. Ein fataler Fehler. Denn ohne Kurskorrektur trieb das Schiff immer weiter auf die Küste zu, bis es schließlich strandete – zum Glück ohne Personenschäden oder Umweltschäden.

Das Frachtschiff fährt unter zypriotischer Flagge und wird von der litauischen Firma Baltnautic betrieben. Eigentlich war es auf dem Weg nach Orkanger, einem Hafen weiter südlich im Fjord.

Doch diese Reise endete abrupt – mit einem „Parkplatz“, den niemand vorgesehen hatte.


Déjà-vu in Stahl

Was die Sache besonders brisant macht: Es ist nicht das erste Mal, dass die NCL Salten negativ auffällt. Bereits 2023 strandete das Schiff vor Hadsel, ein Jahr später dann in Ålesund. Dreimal in drei Jahren – da fragt man sich doch: Was ist da los?

Liegt es an der Technik? An der Crew? Oder schlicht an mangelhaften Sicherheitsprotokollen?

Sicher ist: Die norwegischen Behörden sind alarmiert. Der Navigator wurde wegen Fahrlässigkeit angeklagt, und das Vertrauen in die Sicherheitskultur an Bord der NCL Salten hat kräftig gelitten.


Schlafmangel oder Systemversagen?

Ein schlafender Seemann auf der Brücke – das klingt nach Einzelfall, ist es aber vermutlich nicht. In der globalen Seeschifffahrt sind Übermüdung und Zeitdruck an der Tagesordnung. Lange Schichten, dünne Personaldecken, ökonomischer Druck – da kann selbst der wachsamste Mensch irgendwann die Augen nicht mehr offenhalten.

Doch genau da liegt das Problem. Solche Risiken müssen durch technische Hilfsmittel, klarere Abläufe und ausreichende Ruhezeiten entschärft werden. Denn es ist schlicht nicht hinnehmbar, dass ein 135-Meter-Stahlkoloss unkontrolliert durch norwegische Fjorde treibt – und fast ein Wohnhaus plättet.


Die Stunde der Behörden

Nach dem Vorfall kündigten die norwegischen Behörden strengere Kontrollen für Frachter in Küstennähe an. Auch die Reederei selbst versprach „volle Kooperation“ und betonte ihre angebliche Sicherheitskultur. Klingt gut – doch am Ende zählt nicht das Versprechen, sondern das Ergebnis.

Ob aus dieser Beinahe-Katastrophe echte Lehren gezogen werden? Oder ist bald wieder ein Garten Helberg’scher Prägung fällig?


Ein Schiff kommt selten allein

Der Vorfall in Byneset steht stellvertretend für ein größeres Thema: die Sicherheit auf den Weltmeeren. Mit zunehmendem Schiffsverkehr, immer größeren Frachtern und globalem Wettbewerbsdruck steigt auch das Risiko. Dass es bislang keine Toten oder Umweltschäden gegeben hat, ist pures Glück.

Aber auf Glück darf sich kein System verlassen.


Was bleibt?

Ein tiefes Grollen im Boden, ein Bild wie aus einem apokalyptischen Traum – und ein norwegischer Hausbesitzer, der seither beim Fensteröffnen einen prüfenden Blick Richtung Fjord wirft. Wer weiß, was als Nächstes anlegt?

Vielleicht ist es Zeit, dass die Verantwortlichen endlich aufwachen – bevor noch einmal jemand einschläft.

Von Andreas M. Brucker

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!