Tag & Nacht

In Marseille wächst die Zahl der geschlossenen Wohnanlagen rasant. Rund ein Drittel der Einwohner lebt inzwischen hinter Schranken und Zäunen. Die Beweggründe? Angst vor Kriminalität, Lärmbelästigung und chaotischem Verkehr. Doch diese Barrieren verändern das Stadtbild – und das Leben der Menschen.

Eine Stadt hinter Gittern

Marseille ist in Frankreich Spitzenreiter, wenn es um geschlossene Wohnanlagen geht. 1.900 solcher gesicherten Viertel gibt es bereits. Wo früher freie Durchgänge waren, versperren heute Tore den Weg. Wer sich zu Fuß oder mit dem Auto durch die Stadt bewegt, muss oft Umwege in Kauf nehmen. Besonders für ältere Menschen oder Eltern mit Kinderwagen ist das eine echte Herausforderung.

„Man weiß nie, ob das Tor offen ist oder nicht“, erzählt eine Mutter genervt. Ein Spaziergang wird schnell zum Hindernislauf. Viele dieser abgeschotteten Viertel sind privatisiert – 31 Prozent der Straßen in Marseille gehören nicht der Stadt, sondern privaten Eigentümern.

Sicherheit oder Abschottung?

Doch warum dieser Trend zur Abschottung? Die Gründe sind vielfältig: Manche Anwohner wollen sich vor Diebstählen oder Vandalismus schützen, andere vor dem Verkehrschaos an Spieltagen des nahegelegenen Stade Vélodrome.

„Wenn hier ein Konzert oder ein Fußballspiel ist, suchen die Leute Parkplätze in unserem Wohngebiet – das ist einfach nur nervig“, sagt ein Anwohner. Doch es geht nicht nur um Komfort. Der steigende Wunsch nach Sicherheit spielt eine zentrale Rolle.

Julien Dario, Geographie-Experte, sieht einen weiteren Faktor: „Die Schließung von Wohnanlagen ist längst ein Verkaufsargument.“ Ein Viertel mit Zugangskontrollen wirkt auf viele wie eine Garantie für eine bessere Lebensqualität – ob das wirklich so ist, bleibt jedoch eine offene Frage.

Die Kehrseite der Medaille

Während einige sich über mehr Ruhe und Sicherheit freuen, fühlen sich andere ausgeschlossen. Wer nicht in einem geschlossenen Viertel wohnt, hat oft das Nachsehen. Die Barrieren verstärken soziale Unterschiede – die Stadt wird immer stärker in abgeriegelte Inseln aufgeteilt.

„Das sind Einschränkungen im Alltag“, ärgert sich ein Bewohner. Vor allem in Notfällen kann das problematisch werden: Krankenwagen oder Feuerwehr müssen Umwege fahren, wenn sie vor verschlossenen Toren stehen.

Wohin führt diese Entwicklung?

Bleibt Marseille auf diesem Weg, könnte es bald mehr geschlossene Wohnanlagen als offene Viertel geben. Ist das die Zukunft der Stadt – eine Sammlung privater Enklaven? Oder gibt es Alternativen, um Sicherheit und Lebensqualität zu verbessern, ohne die Stadt weiter zu spalten?

Eines ist klar: Die Diskussion darüber, wie man urbane Probleme löst, wird in Marseille so schnell nicht verstummen.

Von C. Hatty

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