Tag & Nacht

Am 1. Juli befanden sich nach Angaben des Justizministeriums mehr als 74.000 Menschen in französischen Gefängnissen. Eine Zahl, die in den kommenden Wochen voraussichtlich noch weiter steigen wird, mit dramatischen Folgen für die Haftbedingungen.

Mit 74.513 inhaftierten Personen am 1. Juli gegenüber 73.699 am 1. Juni hat Frankreich zum sechsten Mal seit Beginn des Jahres 2023 den Rekord für die Anzahl der Insassen in den Gefängnissen gebrochen. Es ist das erste Mal, dass die Marke von 74.000 Häftlingen überschritten wurde.

Offiziell verfügt Frankreich nur über 60.666 Plätze in seinen Strafvollzugsanstalten. Durch das Überschreiten der Zahl von 74.000 Häftlingen steigt die Gesamtdichte der Gefängnisse im Land somit auf 122,8 % gegenüber 118,7 % im gleichen Zeitraum 2022. In einigen Regionen, z. B. in Perpignan in Südfrankreich, übersteigt die Quote sogar 200 % und steigt nun auf 212 %.

Die Situation in den französischen Gefängnissen dürfte sich in den kommenden Wochen und Monaten sogar noch weiter verschlechtern. Die Unruhen, die durch den Tod des jungen Nahel, der am 17. Juni von einem Polizisten erschossen wurde, ausgelöst wurden, haben zu einer großen Welle von Verurteilungen und Inhaftierungen geführt, die noch nicht alle in den neuen offiziellen Zahlen berücksichtigt wurden. Justizminister Éric Dupond-Moretti sprach am 19. Juli auf RTL von insgesamt 1.278 Urteilen, die im Zusammenhang mit den Unruhen gefällt wurden, davon waren 1.056 Haftstrafen.

Mehrfach schon hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Frankreich für die Überbelegung seiner Strafvollzugsanstalten kritisiert und auf die daraus resultierenden „entwürdigenden Bedingungen“ hingewiesen.

Dominique Simonnot, Generalkontrolleurin der französische Haftanstalten (CGLPL) und Verfasserin eines Ende Mai veröffentlichten Berichts, der ein dramatisches Bild der Situation zeichnet, erklärt die Rekorde der Überbelegung in erster Linie durch den immer stärkeren Rückgriff auf sogenannte Sofortverhandlungen. Ihrer Meinung nach begünstigen die beschleunigten Verfahren, bei denen eine Person innerhalb weniger Stunden nach ihrer Festnahme vor Gericht gestellt werden kann, die Verurteilung zu Haftstrafen. Sie schätzt, dass 90 % solcher Urteile mit einer Untersuchungshaft oder einer festen Inhaftierung enden. Zusammenfassend liesse sich sagen: „Je mehr Sofortverurteilungen es gibt, desto mehr Menschen werden inhaftiert“.

Seit seiner Ernennung zum Justizminister hat Eric Dupond-Moretti immer wieder eine „entschlossene“ und „schnelle“ Antwort auf die Kriminalität gefordert und mehrere Gesetzesentwürfe zur Verschärfung des Strafrahmens für bestimmte Verbrechen und Vergehen auf den Weg gebracht. Das jüngste Beispiel dafür ist ein neues Gesetz, das Ende Juli verabschiedet wurde. Das Gesetz verdreifacht die bisherigen Strafen für die illegale Besetzung von Wohnraum. Hausbesetzer können nun mit bis zu drei Jahren Gefängnis und 45.000 Euro Geldstrafe bestraft werden, während zuvor ein Jahr Gefängnis und 15.000 Euro Geldstrafe vorgesehen waren.

Fazit: Häftlinge verbringen immer mehr Zeit im Gefängnis und weniger Menschen werden freigelassen.

Die Bedingungen, unter denen Häftlinge während ihrer Haft leben, haben bekanntermassen einen erheblichen Einfluss auf das Rückfallrisiko nach der Entlassung aus dem Gefängnis. Während immer neue Rekorde erreicht werden, verschlechtern sich die Haftbedingungen immer mehr. In manchen Anstalten können drei Häftlinge in einer Zelle zusammengepfercht sein, in der ihnen insgesamt nur 4 m² Bewegungsfreiheit bleiben. Das bedeutet laut Dominique Simonnot, Generalkontrolleurin der französische Haftanstalten (CGLPL), etwa 1 m² pro Person. Und die Häftlinge müssen 20 bis 21 Stunden am Tag eingepfercht auf diesem Raum verbringen. Nach Angaben des Justizministeriums müssen derzeit 2.478 Personen in französischen Gefängnissen auf Matratzen auf dem Boden schlafen.

Selbst weibliche Gefangene, die insgesamt nur 3,3 % der französischen Gefängnispopulation ausmachen, leben in überfüllten und unterausgestatteten Räumen, schreibt Dominique Simonnot in ihrem bericht. Simonnot berichtet von Frauen, die gezwungen seien, umgekippte Schränke als Bettrahmen zu verwenden.

Neben dem Platzmangel in den Zellen birgt die Enge auch gesundheitliche Risiken. „Im Gefängnis von Toulouse-Seysses in Südwestfrankreich habe ich gesehen, wie Häftlinge sich Toilettenpapier in Nase und Ohren steckten, damit die Kakerlaken nicht hineinkrochen, während sie schliefen“, berichtet sie. „Jedes Mal, wenn ich eine neue Einrichtung besuche, denke ich, dass ich den Tiefpunkt gesehen habe. Aber die Situation wird immer schlimmer“.

Angesichts dieser Feststellungen fordern Dominique Simmonot und mehrere Abgeordnete, vor allem aus dem linken Lager, eine Regulierung der Gefängnisse, d. h. vorzeitige Entlassungen von Häftlingen am Ende ihrer Haftstrafe, wenn eine bestimmte Schwelle der Überbelegung erreicht ist.

„Ich denke, wir müssen einfach weniger Menschen hinter Gitter bringen“, fasst Simonnot zusammen und plädiert dafür, Strafen zu fördern, die eine Inhaftierung vermeiden, wie Geldstrafen oder Gemeinschaftsstrafen.

Im Gegensatz zu diesen Vorschlägen zieht es die Regierung von Emmanuel Macron vor, bis 2027 den Bau von 15.000 neuen Gefängnisplätzen zu planen. Allerdings scheint ein solches Vorhaben in so kurzer Zeit kaum zu verwirklichen zu sein, zumal es auf den Widerstand vieler Kommunalpolitiker stößt, die keine Gefängnisse in ihren Gemeinden oder Wahlkreisen zulassen wollen.

Angesichts der bevorstehenden Olympischen Spiele 2024 befürchten Experten, dass die nächsten Rekorde bei der Überbelegung von Gefängnissen nur eine Frage von Wochen sein werden. Die Behörden haben sich für alle Austragungsorte der Olympischen Spiele das Ziel „null Verbrechen“ gesetzt und sich dabei hauptsächlich auf die Straßenkriminalität konzentriert – die illegale Besetzung öffentlicher Plätze, Straßenverkäufe und kleinere Vergehen im Zusammenhang mit dem Drogenhandel. Eine deutliche Zunahme von Sofortverhandlungen in der Region Paris mit entsprechenden Haftstrafen sind zu erwarten…


Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!